Unser Kind wird flügge: Individuelle Beratung unterstützt den weiteren Lebensweg

Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Freunde

Gerade Eltern behinderter Menschen machen sich frühzeitig Gedanken darüber, welche Lebensformen ihren Kindern als Erwachsene offenstehen. Wohnen, Arbeiten, Freizeit, Freunde und damit integrierter Teil der Gesellschaft zu sein, all das sind wichtige Themen für erwachsene Menschen mit PWS. Auch sie wollen sich außerhalb ihres Elternhauses beweisen und entfalten können. Da voraussichtlich viele Menschen mit PWS ihr Leben lang eine 24-Stunden-Betreuung benötigen, können sie Selbstständigkeit und Selbstbestimmung entweder weiterhin im elterlichen Umfeld oder außerhalb des Elternhauses in einer spezialisierten Wohn- und Betreuungseinrichtung erproben. Familien können sich bei dieser Entscheidung ambulant beraten lassen. Zwei auf das Prader-Willi-Syndrom spezialisierte Diplom-Psychologen unterstützen die Eltern und ihr PWS-Kind dabei, einen individuell stimmigen und für beide Seiten machbaren Weg zu finden.

Ansprechpartner:

Dipl.-Psych. Dr. Norbert Hödebeck-Stuntebeck

Wittekindshof Bad Oeynhausen

Tel.: 05734-61-12 88

Email: Norbert.Hoedebeck-Stuntebeck@wittekindshof.de

Ansprechpartner:

Dipl.-Psych. Dr. Hubert Soyer

Regens Wagner Absberg

Tel.: 09175- 909-1100

Email: hubert.soyer@regens-wagner.de

Leben in der Wohngruppe: Gemeinsam sind wir stark

Die bundesweit rund 16 Wohn- und Betreuungseinrichtungen bieten auf das Prader-Willi-Syndrom zugeschnittene pädagogisch-psychologische Konzepte, in denen erwachsene Menschen mit PWS  gut aufgehoben sind. Doch nicht wenige Eltern haben mit Trennungsängsten, Schuldgefühlen und Misstrauen zu kämpfen, wenn ihr Kind den geschützten Raum des Elternhauses verlässt. Es fällt ihnen verständlicherweise schwer, ihr einzigartiges Kind, das sie so viele Jahre überaus intensiv betreut haben, in die Obhut anderer Menschen zu geben. So will dieser Schritt wohlüberlegt sein.

Für Menschen mit PWS kann ein Leben in einer Wohngruppe ungemein erleichternd und anregend sein. Nach einer Jugend, in der es in der Regel immer weniger Kontakte zu Gleichaltrigen gab, erfahren sie, dass sie sich mit ihren diversen Problemen nicht mehr so allein und exotisch zu fühlen brauchen. Sie genießen es, endlich Teil einer Gruppe zu sein, in der alle ähnliche Ausgangsvoraussetzungen und Bedürfnisse haben. Das schweißt zusammen, gibt Sicherheit, Freude und Selbstbewusstsein.

Professionelle Betreuung und Nahrungsmittelsicherheit

Auf der Suche nach einem optimalen Betreuungsplatz steht den Eltern und ihren Kindern der Arbeitskreis Wohnen und Beschäftigung der Prader Willi Syndrom Vereinigung Deutschland e.V. intensiv zur Seite. Sicherlich ist für viele Familien wichtig, dass ihr erwachsenes PWS-Kind nicht zu weit vom Elternhaus entfernt untergebracht ist, um einen regelmäßigen Kontakt sicherzustellen. Darüber hinaus sind natürlich die Angebote der jeweiligen Einrichtung entscheidend und ein professionelles Konzept, das sich an die jeweilige Persönlichkeit des zukünftigen Bewohners anpasst und auf seine Fähigkeiten individuell eingeht. Da Nahrungsmittelsicherheit,

Gewichtsregulierung, Bewegung, psychische Ausgeglichenheit und eine geregelte Tagesstruktur weiterhin ganz oben auf der Agenda eines Menschen mit PWS stehen, ist es notwendig, dass die Einrichtung diese wichtigen Aspekte durch entsprechende Assistenzleistungen in ausreichendem Maß abdeckt. Zur Bewältigung von Krisenfällen in der Einrichtung muss ein Psychologe greifbar sein, der sich mit dem Prader-Willi-Syndrom gut auskennt. Auch die Nähe von Fachärzten ist notwendig, um medizinische Probleme abzuklären. Ein interessantes Sport- und Freizeitangebot sorgt für die lebenswichtige Bewegung und bietet zudem die Möglichkeit, 

Kreativität und Geselligkeit zu erleben. Für Wohlgefühl sorgt auch eine gute Chemie zwischen den Wohngruppenbewohnern. All diese Faktoren tragen dazu bei, dass der Wechsel vom Elternhaus in eine Wohneinrichtung gelingt. Und schließlich ist auch ein gutes Vertrauensverhältnis zwischen den Bewohnern, deren Eltern, den Betreuern und Therapeuten wichtig, damit die Kommunikation untereinander funktioniert. Gemeinsam vereinbarte Regeln, die für alle Beteiligten gelten, geben Halt und Sicherheit im Umgang miteinander.

Psychische Ausgeglichenheit ist das A und O

Eine 24-Stunden-Betreuung in einer Einrichtung garantiert den Bewohnern ausgewogene und regelmäßige Mahlzeiten, in der Regel tagsüber alle zwei Stunden, und gibt ihnen so die Sicherheit, die sie in puncto Essen brauchen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass Menschen mit PWS aus diesem Grund besser in reinen PWS-Wohngruppen leben können, da man hier konkreter auf ihre speziellen Bedürfnisse eingehen kann. Das Gewicht zu halten ist nicht einfach in einer Welt, die ständig mit dem Konsum von Essen lockt. „To go“ und „Genuss zwischendurch“ sind die Slogans, die uns suggerieren, dass wir sogar in jeder Lebenslage etwas zu uns nehmen sollten und können. Wie ergeht es da einem Menschen, der aufgrund seiner genetischen Disposition größte Schwierigkeiten damit hat, seinem Essensdrang zu widerstehen? Ein Mensch mit PWS arbeitet sein Leben lang daran, diesen Druck in positive Bahnen zu lenken und seinen Bedürfnissen nicht immer direkt nachgeben zu müssen. 

Dies geschieht nicht immer ohne starke innere psychische Konflikte. Ein Mensch mit PWS kann verstehen, dass es nicht gut ist, dick und krank zu sein.  Er möchte sich selbst, seine Familie und seine Betreuer nicht enttäuschen und versucht, sich an die Vorgaben zu halten. Doch dann ist es passiert, wieder zu viel gegessen. Starke Schuldgefühle sind oft die Folge. Diese können in Fremd-Aggressionen und gelegentliche selbstverletzende Affekte münden. Generell gilt: Je ausgeglichener ein Mensch mit PWS ist, z.B. durch ein liebevolles, verzeihendes Umfeld, das ihm einfache Strukturen, geliebte Rituale und klare Regeln, gute soziale Bindungen, ein hohes Maß an Sicherheit und vertrauenswürdige Regelmäßigkeit bietet, umso mehr wird es ihm gelingen, diesen negativen Kreislauf zu durchbrechen. Jeder Mensch möchte auch Fehler machen dürfen. Zu einem guten Lebensgefühl gehört dazu, dass man eben nicht immer alles richtig macht und trotzdem angenommen wird.

Behutsame Koordination von Wohnen und Arbeiten

Zur Erweiterung der Selbstbestimmung, Entwicklung der Persönlichkeit und der Leistungsfähigkeit sowie zur Festigung des Selbstbildes ist die Chance, in ein Arbeitsleben eintreten zu können, besonders wichtig. Auch Menschen mit Behinderung entwickeln ein Bewusstsein dafür, dass sie auf diese Weise ihren Teil zum gesellschaftlichen Leben beitragen können. In Behindertenwerkstätten, wo viele Menschen mit geistiger Behinderung arbeiten, können sie ihren Möglichkeiten entsprechend eingesetzt und gefördert werden. Auch auf ihre Bedürfnisse kann man dort individuell eingehen. Dies ist insbesondere für Menschen mit PWS wichtig, die in vielen Bundesländern am Ende ihrer Schulzeit zunächst von einem Amtsarzt oder einem Arzt der Agentur für Arbeit auf ihre Arbeitsfähigkeit hin untersucht werden. Dieser empfiehlt in den allermeisten Fällen eine Aufnahme in eine Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM), da eine Eignung für den ersten Arbeitsmarkt oft 

durch eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit und verminderte soziale Kompetenz nicht gegeben ist.  Der Ablauf des Verfahrens zur Aufnahme in die WfbM bietet die Möglichkeit, die individuellen Fähigkeiten des Einzelnen sorgsam an die Arbeits- und Förderangebote der Werkstatt anzupassen und einzugliedern (Fachausschuss, Eingangsverfahren, Berufliche Bildung, Eingliederungsverfahren in die Werkstatt, Praktika in den unterschiedlichsten Arbeitsgruppen etc.). Die WfbM bieten eine große Auswahl verschiedener Arbeitsplätze mit unterschiedlichem Anforderungsprofil, z.B. industrielle Fertigung, Verpackung, Metallbearbeitung, Montage, haushaltsnahe Dienstleistungen, Garten- und Landschaftsbau, Holzbearbeitung usw. oder Außenarbeitsplätze in externen Betrieben. Bei Menschen mit PWS ist ein Zusammenwirken der Lebensbereiche Arbeit (WfbM) und Wohnen (Elternhaus  oder Wohneinrichtung) von besonderer Bedeutung, um auf die PWS-spezifischen Verhaltensweisen 

Dazu gehört insbesondere auch ein PWS-adäquates Essensangebot, das mit der Wohneinrichtung oder den Eltern abzustimmen ist. Außerdem muss auch in der WfbM die Nahrungsmittelsicherheit gewährleistet sein, damit die Mitarbeiter mit PWS nicht an zusätzliche Nahrung gelangen. Bisher ist es eher selten, dass Menschen mit PWS auf dem ersten Arbeitsmarkt eine Arbeit finden. Ist dies jedoch der Fall, muss die regelmäßige Unterstützung der Eltern, von professionellen Fallmanagern oder Integrationsfachkräften gewährleistet sein. Diese sorgen für die gesamte  Koordination von Arbeit, Wohnen und der hier besonders schwierig zu kontrollierenden Ernährung. und Probleme in beiden Lebensbereichen angemessen zu reagieren. 

Begleitung, Anleitung und Struktur sind auch am Arbeitsplatz wichtig

Menschen mit PWS sind gern bereit, sich auf einen Arbeitsalltag einzulassen und die an sie gestellten Anforderungen zu erfüllen. Vor allem, wenn sie gute Begleitung erfahren, gelingt es ihnen in den allermeisten Fällen, sich in die Arbeitswelt zu integrieren. Genaue Anleitung und eine verlässliche Tagesstruktur am Arbeitsplatz sind ebenfalls wichtige Voraussetzungen, die Menschen mit PWS Sicherheit geben. Auf dieser Grundlage zeichnen sich Werkstattbeschäftigte mit PWS oftmals durch Verlässlichkeit, Engagement und Leistungsbereitschaft aus. Arbeitsanweisungen können sie grundsätzlich gut umsetzen, sogar mit komplexeren Aufträgen kann man sie oftmals betrauen, wenn sie behutsam eingeführt werden. Ihre Arbeitsergebnisse zeigen qualitativ wie quantitativ, dass sie gern bereit und in der Lage sind, die an sie gestellten Anforderungen konzentriert und mit grob- und feinmotorischem Geschick zu erfüllen. Je nach Leistungsvermögen und Abhängigkeit von „Störungen“ sind sie stundenweise oder aber den ganzen Arbeitstag über belastbar. Menschen mit PWS identifizieren sich sehr gerne mit Tätigkeiten, die ihren Vorstellungen entsprechen. Dies sind vorzugsweise serielle Arbeiten, bei denen sie ihre geliebten Routinen entwickeln können. Auch ihr Talent zu lernen, stellen sie dabei unter Beweis. Syndrombedingt fällt es ihnen häufig 

schwer, angemessen mit kurzfristigen Veränderungen, wie z.B. wechselnden Arbeitsaufträgen, umzugehen. Sie geraten dann in einen innerpsychischen Konflikt, der es ihnen schwer macht, ihrer Arbeit weiter nachzugehen. Ein zeitlicher Vorlauf und eine entsprechende Begleitung können helfen, dies zu vermeiden. Wenn Probleme im Arbeitskontext auftreten, wie z.B. Missverständnisse in organisatorischen Dingen, empfundene Konkurrenz zu anderen Kollegen oder Fehlinterpretationen von Gesprächen oder Gesprächsfetzen, die den gewohnten Arbeitsalltag real oder vermeintlich betreffen, ist es wichtig, direkt nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Entsprechende Gespräche, professionelle Begleitung und eine Auszeit sollten darauf abzielen, dass der Betreffende auch nach eigenen Lösungsansätzen sucht, um sich danach beruhigt und gestärkt wieder in den Arbeitskontext einklinken zu können.  Es ist das Ziel einer jeden Werkstatt für Menschen mit Behinderungen, die individuellen Kompetenzen und den jeweiligen Förderbedarf ihrer Mitarbeiter zu erkennen und entsprechende Betreuungs- und Fortbildungsangebote zu schaffen. Finden Menschen mit PWS ein motivierendes und förderndes Arbeitsfeld mit einer verlässlichen und nachvollziehbaren Struktur vor, können sie sich entwickeln und ihre Stärken ausbauen.